"Sprache und Bewegung sind für mich eins''

 


"Sprache und Bewegung sind für mich eins''

Feldenkrais-Trainerin Lea Wolgensinger

Von Cornelia Berens

DIE ANTWORTEN KOMMEN VON ...

Lea Wolgensinger war mit Moshe Felden­ krais seit ihrer frühesten Kindheit vertraut und ließ sich 1981-1983 von ihm in Amherst, USA, zum Practitioner ausbilden. in Europa beteiligte sie sich in der Folge intensiv am Aufbau der politischen Struktu­ ren für die Feldenkrais-Methode. Seit 1988 ist sie Assistentin, seit 1998 Trainerin in eigenen und anderen Ausbildungen. Ab 1987 hat sie erweiternde Ausbildungen in Kommunikation und Coaching durchlaufen. Lea Wolgensinger ist eidgenössische diplo­ mierte Erwachsenenbildnerin, sie lebt und arbeitet in der Schweiz, in Tegna im Tessin und in Zürich. Lea Wolgensingers Website: www.simplicitych


lm dritten Jahr der Heidelberger Feldenkrais-Aus bildung: Roger Russell und Ulla Schläjke begrüßten Lea Wolgensinger als Gast- Trainerin Auf unseren Matten erwarteten wir sehnliehst Rogers Aufforde rung, "Leg Dich auf den Rücken!... und was kam stattdessen? Lea Wolgensinger erzählte uns recht ausführlich von ihrer Ankunft in der Pension, wie sie sich in ihrem Zimmer einrichtete, was ihr an diesem Morgen im Frühstücksraum aufgefallen war, sie erzählte von anderen Gästen, wie die Bedienung agierte und wie sie selbst schließlich den Weg in die Halle zu uns gefunden hatte. Ich wurde zunehmend nervöser und spürte zudem, dass es einigen anderen auch so ging. Doch plötzlich merkte ich, dass wir schon längst mitten drin waren- in einer ATM(IJ, die uns mit einem wesentlichen Aspekt der Feldenkrais Methode bekannt machte, der Orientierung schlecht

hin Meine Unruhe war verflogen, ich härte aufmerk sam zu ... und war und blieb von der Art, wie Lea mit der Feldenkrais-Methode arbeitet, fasziniert.

Lea Wolgensinger kannte Moshe Feldenkrais seit ihrer Kindheit, sie hatte 2004 in Roger Russells Sammelband Feldenkrais im Überblick einen Aufsatz über "Moshes Zürcher Jahre » veröfentlichtf   und vermittelte uns nun anschaulich, was Moshe für ein Mensch war und wie er agierte. 2010 hat sie dies auch im Feldenkrais- Training in Bern getan und mir dieses Material zur Transkription überlassen Unser Gespräch basiert auf dieser Aufzeichnung und auf

DIE ANTWORTEN KOMMEN VON ...

Lea Wolgensinger war mit Moshe Felden krais seit ihrer frühesten Kindheit vertraut und ließ sich 1981-1983 von ihm in Amherst, USA, zum Practitioner ausbilden. in Europa beteiligte sie sich in der Folge intensiv am Aufbau der politischen Struktu ren für die Feldenkrais-Methode. Seit 1988 ist sie Assistentin, seit 1998 Trainerin in eigenen und anderen Ausbildungen. Ab 1987 hat sie erweiternde Ausbildungen in Kommunikation und Coaching durchlaufen. Lea Wolgensinger ist eidgenössische diplo mierte Erwachsenenbildnerin, sie lebt und arbeitet in der Schweiz, in Tegna im Tessin und in Zürich. Lea Wolgensingers Website: www.simplicitych


Leas Antworten zu meinen aktuellen Nachfragen.

Liebe Lea, Du bist gerade eben nach einem Fahrradunfall und der nachfolgenden komplexen Schulter-OP aus der Reha nach Hause gekommen.

Wie ist es Dir dort ergangen und wie geht es Dir jetzt?

Lea Wolgensinger: Wenn ich so auf meine letzten zweieinhalb Monate nach dem Unfall zurückschaue, kann ich nur sagen: das war das Leben schlechthin, innerlich und äußerlich. Fast unerträglich starke Schmerzen, die Konfrontation mit zwei Welten, der Schulmedizinischen und der ressourcenorientierten der Feldenkrais-Methode, sowie nun herauszufinden, wie diese beiden Welten am wirkungsvollsten zusam menarbeiten, damit ich wieder voll genese und sogar bereichert aus dieser Erfahrung herausgehe, war eine große Herausforderung. Ich bin darum sehr zufrieden mit dem Resultat und besonders glücklich, dass ich einige Ärzte, Therapeuten und Pflegerinnen sozusa gen "am konkreten Fall", nämlich meinem, über die Wirkungen der Feldenkrais-Methode aufklären konnte. Nie habe ich täglich so viel Zeit mit dem Erklären und Zeigen unserer Arbeit verbracht. Und es ging immer leichter, ich blieb nie theoretisch, denn sie sahen, wie schnell ich Selbstvertrauen und Beweglichkeit wiederher stellen konnte, wenn ich mich an all dem orientierte, was mir wie vorher zur Verfügung stand. Mit anderen Worten, ich habe nach dem schrecklichen Unfall das Beste für mich und meine Helfer herausge holt und bin jetzt weitgehend selbstständig wieder handlungsfähig. Und darum sehr zufrieden.


• Viele Menschen in der Feldenkrais-Welt wissen, dass Moshe Feldenkrais ein enger Freund Deiner Eltern war, der Fotografen Luzzi und Michael Wol gensinger. Der Autor Christian Buckard, der gera de an einer Feldenkrais-Biografie (3) schreibt, hat Deine Herkunftsfamilie und Euer Zürcher Zuhause hier im Feldenkraisforum (Nr. 86) als "Moshes Wahlfamilie in Europa" bezeichnet. Du warst ja noch eine kleines Kind, als Moshe bei Euch auf tauchte, wie kam es dann sehr viel später dazu, dass Du den großen Schritt getan hast, bei Feldenkrais die Ausbildung zu machen?

Ursprünglich wollte Moshe eine Ausbildung in Europa machen, das war ihm ein großes Anliegen. Er hatte in Luxemburg eine Frau kennengelernt, die das organi sieren wollte. Leider hat das nicht geklappt. Als ich das erfuhr, habe ich mich in letzter Minute entschie den, nach Amherst zu fliegen, um die Ausbildung dort zu machen. Das war nur möglich, weil meine Mutter die Kinder übernahm - ohne ihre Hilfe wäre ich nicht Feldenkrais-Lehrerin geworden. Denn Amherst war Moshes letzte Ausbildung und selbst unterflehten konnte er nur in den ersten zwei Trainingsjahren. Danach führten seine damals "Assistenten" genannten ersten Schülerinnen aus der Tel-Aviv-Ausbildung, die heutigen "Senior Trainers", das Training nach seinen Anweisungen zu Ende.

Sie selbst wiederum waren in einem völlig anderen Setting von Moshé unterrichtet worden. Für die ATM Lektionen begaben sie sich dreimal wöchentlich in die Alexander-Yanai-Straße, in einen unterirdischen Raum belegt mit alten Strohmatten, nicht etwa in ihrem  " kleinen Rahmen, sondern zusammen mit 20 anderen Personen.  Diese ATMs wurden in hebräischer Sprache auf große Revoxi Tonbänder aufgenommen, die Moshé zu Hause abhören und weiterentwickeln konnte. Die

Funktionale Integration (4) erlernten sie in der Frug-Straße, indem sie Moshé beim Unterrichten mit Erwachsenen und Kindern zuschauten. Danach wurden die

Stunden diskutiert, seine Theorie, die dahinterliegende Philosophie und seine Gedankenansätze diskutiert sowie Fragen gestellt. Nach und nach konnten sie sel ber mit Fis beginnen und wurden weiterhin von Mosh€ supervidiert Außergewöhnlich und sehr per sönlich muss dieser Lernprozess gewesen sein, denn Moshe hielt sich mit seinen Beobachtungen und per sönlichen Meinungen ja nicht zurück. Authentischer hätte man von Moshé wohl nicht lernen können. Zurück zu Amherst: Im dritten Jahr mussten wir ohne Moshe über die Runden kommen. Jeden Tag unter richtete ein Assistent uns 220 Studierende in einem anderen Thema: Demo, Üben, ATM. Die Tage waren mühsam, verwirrend und wir waren zunehmend ver unsichert, wie lange das noch dauern sollte. Jerry Kar zen vertröstete uns von Tag zu Tag, allerdings hatten wir große Zweifel, dass es zu einem Wiedersehen mit Moshe in Amherst kommen würde. So vergingen die neun Wochen des dritten Trainingsjahres eher traurig, denn es war irgendwie allen klar, dass Moshe nicht mehr selber unterrichten würde.

• Am 12. Juni 1984, also im selben Jahr, als Moshe Feldenkrais starb, hast Du gemeinsam mit Franz Wurm und Gregor Risi in Zürich den Verein "Feldenkrais Institut" (seit 1986: SFV Schweizeri scher Feldenkrais Verband) gegründet. Wie kam es dazu? Zuvor hatte Franz Wurm ja bereits 1971 gemeinsam mit Moshe Feldenkrais das Felden krais-lnstitut in Zürich gegründet, wo Du dann sozusagen "eingestiegen" bist.

Die Arbeit meiner Eltern und Franz Wurms trug Früchte, die Feldenkrais-Lektionen waren wöchent lich im Schweizer Radio gesendet worden und in der Neuen Zürcher Zeitung hatte es einen ausgezeichne ten Artikel über Moshe gegeben, und so begann ich Ende der 70er-Jahre meine europäischen Mitstudie renden in Deutschland, Österreich, Frankreich, Itali en, Spanien, Schweden, Holland, Norwegen und Eng land zu kontaktieren. Meine Absicht war klar: wir soll ten eine europäische Organisation gründen und selbst dafür sorgen, dass die Feldenkrais-Methode in Europa, und in jedem Land in dessen eigener Muttersprache, bekannt gemacht wurde. Wie Moshe von den meisten Amerikanern auf einen Sockel gestellt wurde, passte mir nicht. Das war nicht der Moshe, den ich seit Jah ren kannte, nicht der, dessen persönliche Themen, Konflikte, Zweifel und Kämpfe ich kannte und der für mich ein Mensch auf Augenhöhe war. Für mich war er eben ein Mensch und kein Guru. Das hat mich motiviert dafür zu sorgen, dass Moshe ein Europäer blieb, ein vielsprachiger Mensch mit einem reichen Hintergrund in vielen verschiedenen Kulturen. Wie sollte einer, der leibliche Genüsse in Form von besten provenzalischen und mehrgängigen Fleisch-Menüs, edlen tiefroten Weinen, den üppigsten Desserts und starken Zigaretten befriedigte, ein Guru sein können. Moshe war ein geselliger Mensch, liebte Witze und konnte so wunderbar schön lachen, auch wenn er nachher manchmal furchtbar lange husten musste.

Moshe hatte Franz Wurm und mich damit beauf tragt, die Begriffe "Feldenkrais Methode", "Bewusst heit durch Bewegung" und "Funktionale Integration" eintragen und rechtlich schützen zu lassen. Es war naheliegend, dass ich damit in der Schweiz anfing, nachdem wir herausgefunden hatten, dass nur ein Verband so einen Namensschutz beantragen konnte. Der Schweizerische Feldenkrais Verband war so 1984

er erste europäische Berufsverband, bestehend aus Franz Wurm, Gregor Risi und mir. Der zweite wurde 1985 die Feldenkrais-Gilde Deutschland e. V., nach dem ich einen Anwalt, Herrn Dr. jur. Ehler in Mün chen, damit beauftragt hatte, die Statuten dafür zu erstellen.

In dieser Zeit nahm Franz Wurm eine Auszeit, er wollte sich mehr seinem Schreiben zuwenden, das war ja sein eigentlicher Beruf. Er war ja sozusagen nicht freiwillig Feldenkrais-Lehrer geworden, sondern nur weil ihn Moshe als Mensch und seine Methode interessierte und es notwendig war, die ATMs weiter zugeben, als einziger in Europa. Franz hat keine FI gemacht, er wollte das nicht lernen. Er reiste aber viel herum und besonders in Deutschland, Österreich und in der Schweiz hat er Workshops gegeben, auch wöchentliche ATMs, die sogenannten Lektionen am Abend in Zürich und auch in Basel. Er hat also prak tisch geholfen, die Methode zu verbreiten, denn es brauchte eine gewisse Kontinuität dafür. Man kann ja nicht einen Workshop machen und dann in einem Jahr wiederkommen, wenn das nachhaltig verbreitet werden soll. Heute sind wir so viele, dass Kontinuität hergestellt ist.

Zurück zu Arnherst: In meinem vierten Trainings jahr wurde die Gruppe aufgeteilt. Man konnte wählen, ob man das letzte Jahr ohne Moshe wieder in Arnherst oder lieber in Tel Aviv machen wollte. Gregor und ich gingen wie die meisten Europäer nach Tel Aviv, wir wollten einfach in Moshes Nähe sein. Doch wir wussten, dass er nicht mehr unser Lehrer sein würde, denn er war damals schon vollkommen pfle gebedürftig. Er konnte nicht mehr sprechen und wir ahnten schon, was das für Folgen haben würde. Er hatte keine Richtlinien erlassen, wollte oder konnte sich nicht entscheiden, wie, mit wem und mit wel chen Kompetenzen seine Methode weiter unterrichtet werden sollte. Das ist für seine Nachfolger sehr schwierig gewesen. Ich kann mich mit diesem "uns alleine lassen" heute besser anfreunden, denn Moshe hat hier vermutlich das ·umgesetzt, was er immer sagte: probier es selber aus und suche dein Eigenes! Was er vergaß: Als Einzelgänger, Kämpfer und inner lich freier entwicklungsorientierter Mensch hat er sich wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass bestimmte Dinge unter dem gleichen Namen (Felden krais-Methode) .sowohl Raum haben müssen für Gemeinsamkeiten als auch Platz für individuelle Ent wicklungen, die der Sprache und Kultur der verschie denen Länder Rechnung tragen.


Du warst ja auch noch ein weiteres Mal in Tel Aviv in dieser Zeit. Wie hast Du Moshe und sein Umfeld in dieser Zeit erlebt?

Ja, in Tel Aviv, das war wie in einem Bienenhaus, Moshe lag in der Stube in seinem normalen Bett, nicht in einem Spitalbett, und dort war alles voller Bücher gestelle und in der Mitte stand ein langer Tisch, und Moshe hatte zwei Pflegefrauen für je zwölf Stunden. Er war immer mit jemandem zusammen, sein Bruder war da - seine Mutter war schon lange gestorben -, und dann die besten Freunde und die Feldenkrais- Kollegen, also eigentlich seine Schüler, und die haben mir ihm Fis gemacht. Alle haben versucht, aus Moshe noch irgendetwas rauszukriegen, "wer soll jetzt, wer darf jetzt, wie sollen wir?" - und es kam nichts. Also wir haben sozusagen ein Chaos übernommen, in dem Sinne, als alle fanden, sie sind fähig und sie sind dieje- nigen, die ___ und jetzt, da diese Generation älter wird und auch langsam weniger macht, kommt die nächste Generation, die Moshe nicht mehr live erlebt hat, aber dafür ist jetzt alles schön strukturiert auf der ganzen Welt. Also, an diesem Tisch saßen immer viele Leute und da war ganz fröhliche Stimmung, da wurde geschwatzt, Musik gehört und diskutiert, und geges sen und gekocht und getrunken - es war total, Moshe war voll im Leben drin, also er war nicht in seinem Zimmer und alleine, sondern er war integriert. Es ging immer jemand zu ihm, hat ihn angefasst und mit ihm gesprochen und ist wieder zurücgekommen und so, also es war eigentlich, wie man es sich wünschen kann, man ist dabei, nicht einfach weg und wird gepflegt und in Ruhe gelassen, sondern man ist drin, und das fand ich eigentlich noch etwas sehr Schönes, so mitzuerleben wie das war. Ja, so hat das geendet, Moshes Leben.


• Ich danke Dir für diese atmosphärisch dichte Beschreibung von Moshes letzten -Tagen. - Deinem Aufsatz in Rogers Buch habe ich entnom men, dass Du auch Einzelstunden von Moshe bekommen hast. Wann und wo war das? Und wie hast Du diese Erfahrung in Deine Arbeit einfließen lassen resp. wie würdest Du Deinen eigenen über die Jahrzehnte entwickelten "Feldenkrais-Stil" vor allem in der Art, wie Du die Einzelstunden gibst, beschreiben? Ich habe Dich als zupackend erlebt und dabei von großer Klarheit.

Von Moshe habe ich 1968 in der Frug-Straße zwei aufeinanderfolgende Fis erhalten. Während der ersten habe ich geschlafen, ich weiß nur noch, dass ich auf dem Rücken lag und mich nach dem Aufsitzen merk lich leichter fühlte. Er hatte viel an meinem Nacken und Kopf gearbeitet. Die darauffolgende war ähnlich, Moshe redete nicht und ich fiel in eine Trance, aber ich erinnere, dass er auch an meinem Becken arbeite te. Mein Thema war nämlich gewesen, dass ich nicht schwanger werde. Sein Ratschlag war, dass ich mehr Sex haben sollte. Nun ja, weder der Ratschlag noch diese Fis haben es gebracht. (Vier Jahre später konnte ich meinen ersten Sohn adoptieren, es folgten darauf hin wie aus dem Nichts zwei Schwangerschaften mit weiteren Söhnen.)

Leider fehlen mir detaillierte Erinnerungen an diese Fis, ich glaube aber, dass ich seine Hände - er hatte ja sehr große Hände und lange Finger - noch heute spüren kann, wenn ich die FI-Serien aus Amherst anschaue. Seine Hände waren die Ausführer seiner Gedanken. Also Klarheit, Kraft, Fragen, Unsicherheit, Suchen, Vertrauen, Nachfragen, Lösung, Freude. Immer erfand er Neues und probierte es aus. Seine FI unterschieden sich merklich von den Griffen, die wir heute in Ausbildungen lernen. Moshe atmete auch sehr kräftig und laut. Er musste oft Entscheidungen fällen und diese fällte er schnell, fast abrupt. Für mich war sein bewusstes Denken direkt mit seinen Händen verbunden. Das ist anstrengend. Die Zigarette dazwi schen hat ihm dann ein wenig Entspannung geschenkt.


Die Art und Weise, wie ich heute mit Fis unterrichte, basiert auf folgenden Kriterien: ich nehme visuell sehr präzise wahr z. B. die Physiognomie, die Atmung, sehr kleine und auch große Bewegungsab läufe, die ganze Erscheinung des Menschen.  Ich nehme meine eigenen Gedanken sehr gut wahr und achte auf meine inneren Wertungen und Interpretationen. Diese brauchen dann eventuell eine Korrektur. Ich gebrauche Sprache ganz natürlich in einer FI und finde den richtigen Moment für eine Frage, einen Hinweis oder eine Erklärung. Ich weiß, dass Sprache bei meinen Klienten eine große Wirkung hat, welche die Wirkung meiner Berührungen und deren Integration in den Alltag erhöht. Zusätzlich ist es mir ein großes Anliegen, die Person spüren und auch erleben zu las sen, wie immens ihre Ressourcen sind und dass sie damit ihr Leben enorm erleichtern kann. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass ich durch meine Feldenkrais-Ausbildung in Arnherst FI gelernt habe, vielleicht ein paar Techniken - mit acht verschiedenen Lehrern.


Ich glaube, dass die unzähligen Gespräche zwiehen Moshé, meinen Eltern und Franz Wurm, bei denen es immer um die "Feldenkrais-Arbeit", das Leben und die Entwicklung dieses Lebens ging, mich ganz unbewusst geprägt haben. Nicht intellektuell, jedoch sehr wohl eben unbewusst und daher intuitiv. Ich habe dazu nichts beigetragen, sondern war einfach nur dabei - am Esstisch oder auf dem Sofa.


• Nun habe ich Dich ja auch erlebt als Leiterin einer für mich ganz besonderen Fortbildung, die Du seit einigen Jahren unter dem Titel "Bewusst heit durch Sprache" anbietest. Was verstehst Du darunter eigentlich und was vermittelst Du in die sen Fortbildungen, die ja in den letzten beiden Jahren auch in Deinem gastfreundlichen Haus und in Deinem prächtigen Garten im frühsommerlich leuchtenden Tessin stattfinden konnten?

"Bewusstheit durch Sprache" bedeutet für mich, etwas fortzusetzen, was Moshé selbst vernachlässigt hat. Nach meiner eigenen Feldenkrais-Ausbildung habe ich mich seit 1984 in vielen Kommunikationsse minaren, einer mehrjährigen NLP-Master-Ausbildung und auch zum Coach ausbilden lassen. Die eigene innere Sprache bewusst wahrnehmen, genau zuhören und konstruktiv nachfragen lernen, das macht die eigenen Sprachmuster erkennbar und dadurch verän derbar. Innere Sprache kann in Bewegung und auch Bewegungsanleitung umgesetzt werden. Die beglei tenden Gespräche im Rahmen einer Einzelstunde erhalten eine neue Bedeutung, wenn wir erkennen lernen, was dahinter zum Beispiel für Vorannahmen stehen. Feldenkrais- Lehrerinnen gewinnen durch diese Seminare Klarheit und Kompetenz für sich selbst und ihre Arbeit, was ihr Selbstwertgefühl stärkt. Die

Leichtigkeit, Freude und Lust, über die Feldenkrais- Methode zu sprechen, werden deutlich erhöht. Im Basisseminar erfahren die Teilnehmerinnen an sich selbst, um was es geht bei der Sprache, welche erwei- ternden Möglichkeiten ich in mir aktivieren kann, was allgemein über Kommunikation gewusst werden muss, was für ein Menschenbild der Feldenkrais Arbeit zugrunde liegt und wie ich das in meiner Praxis umsetzen kann. Im Aufbauseminar schulen wir unsere Fähigkeiten, zuzuhören, über die Worte des Gesagten hinaus. Wir erlernen, wie wir mit konstruk tiven Fragen mehr Klarheit in uns und unserem Gegenüber schaffen, so dass unsere Absichten in die gleiche Richtung gehen. Im Abschlussseminar setzen die Teilnehmenden das Gelernte praktisch in einer Feldstudie um. Diese Erfahrung wird gemeinsam analysiert, durch neue Einsichten ergänzt und es werden eigene Ziele gesetzt und verankert. Täglich wird übrigens auch eine ATM unterrichtet. Das Erlernen und Erleben neuer Fragetechniken sowie die klärende Standortbestimmung sind dann Schwerpunkt der ersten Meisterklasse: wie ich mehr über meine eige nen inneren Prozesse erfahre und was mir meine Zeit bedeutet. In der zweiten Meisterklasse geht es dann zum einen um das Ausprobieren von erlernten Inter ventionen, zum anderen vermittele ich die Arbeit mit Time-Lim Techniken, die ich sinnvoll mit Elementen aus der Feldenkrais-Methode verknüpfe.


• Meine letzte .Frage führt uns gewissermaßen an den Anfang zurück. Du hast gerade eben ein wun derschönes Buch veröffentlicht, das den Titel trägt Dimitri steht auf und das im Untertitel weitergeht mit Lernen- Bewegen- Heilen: Feldenkrais. (5) Du berichtest darin von zwei Menschen und ihren jeweiligen Genesungsprozessen mithilfe der Fel denkrais-Methode, und ich finde es sehr bewe gend, dass dieses Buch gerade jetzt erscheint, da Du nun selbst diesen Weg der Heilung gehst, wie wir am Anfang dieses Gesprächs gehört haben. Was steht in Deinem Feldenkrais-Buch?

Wie mein Tessiner Nachbar, der berühmte Schwei zer Clown Dimitri, Gründer des "Teatro Dimitri" und der angeschlossenen T heaterschule in Verscio, der durch unerträgliche Schmerzen vollkommen bewe gungsunfähig war, wieder schmerzfrei wurde und zurück auf die Bühne konnte, daran erinnern wir uns, Dimitri und ich, in einem kürzlich geführten Gespräch. Drei Monate täglicher Zusammenarbeit bewirkten damals dieses Resultat. Wir schildern in einem lebendigen Dialog den Weg dorthin - wie es uns beiden gelang, Vertrauen in die Arbeit aufzubau en, und wie wir gemeinsam den Prozess gestalteten, der ganz auf Dimitris körperlichen und mentalen Res sourcen, seinem reichen Schatz an Phantasie·und sei ner differenzierten Vorstellungskraft aufbaute. In der sich anschließenden Fallgeschichte berichte ich davon, wie "Philipp und sein rechtes Bein" sozusagen wieder zueinanderfanden und wie dieser Klient lern te, seine Opferhaltung nach einem unverschuldeten Unfall und seine Orientierung an Misserfolgen aufzu geben, wie er sein Leistungsdenken in Frage zu stellen begann und wie er nach und nach verstand, "dass es hier um mehr ging als nur. darum, sein kaputtes Bein zu reparieren." 


• Am Ende des Buchs fasst Du die "Grundge danken und W irkungsweisen der Feldenkrais Methode" zusammen. Bitte verrate uns hier zum Schluss den für Dich wichtigsten Gedanken und mach so unsere Leserinnen und Leser neugierig, mehr über Dein Verständnis von Feldenkrais zu erfahren und in Dein Buch einzutauchen!

Ich glaube, es war eine große Hilfe für mich, dass ich in diese Methode immer vertraut habe. Obwohl ich am Anfang wenig davon wusste, oder nicht wusste, was ich wusste, war sie für mich so frei, so offen, so spektakulär erfolgreich, dass ich ohne Zweifel anfing, sie mit anderen zu teilen. Nun habe ich darin meine eigene Version gefunden, das Lea-Feldenkrais und ent wickle das nach wie vor weiter. Die Magie der Spra che ist dabei mein größter Helfer, diese setze ich mit ebenso viel Vergnügen und spielerisch ein wie ich

Menschen in der FI auch behandle. Beide sollen zusammen eins werden und darum sind Sprache und Bewegung für mich eins. Ich vermittle meinen Klien ten die Lust, ihre Ressourcen wahrzunehmen, sie zu schätzen und sie im richtigen Augenblick einzusetzen. Damit übergebe ich ihnen die Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess und die Freude daran, sich selbst mit mehr Liebe und Achtung zu begegnen. Was gibt es Schöneres?

• Lea, ich danke Dir sehr für dieses Gespräch und wünsche Dir von Herzen weiterhin gute Genesung! •


DIE FRAGEN STELLTE...

Cornelia Berens lebt und arbeitet als Lektorin, Dozentin und Felden krais- Lehrerin an der Ost see. Für das Feldenkrais forum akquiriert und lek toriert sie Beiträge seit Heft Nr. 79, 2012. Zum

1 11 . Geburtstag von Moshe Feldenkrais am

6. Mai 2015 hält sie Ende April in der Stadtbücherei

Preetz einenVortrag mit

Bewegung zum Thema "Was ist und was kann ... und wer war eigentlich

Feldenkrais?"

(1) ATM = awareness through movement, der Gruppenunterricht in der Feldenkrais-Methode

(2) Lea Wolgensinger, Aus Moshes Zürcher Jahren. in: Roger Russell (Hg.), Feldenkrais im Überblick. Über den Lernpro zess der Feldenkrais-Methode. Paderborn, 2004, S. 143-161.

(3) Christian Buckards Biografie über Moshe Feldenkrais ist im Berlin-Verlag für den Herbst 2015 angekündigt. 

(4) Funktionale Integration (FI) =der Einzelunterricht in der Feldenkrais-Methode

(5) Zürich,Verlag Simplicity 2014, 64 S., ISBN 978-3-033-04840-9, ca. 16 € inkl.Versandkosten.

Feldenkrais forum 1 Quartal 2015


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